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Syrische Beobachtungsstelle
Syrien: Meldung über 45 Tote durch türkische Armee aus fragwürdiger Quelle

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) wird immer wieder von Medien als zuverlässige Quelle zitiert. Die Qualität der Angaben wird dabei nur höchst selten hinterfragt. Erst am Wochenende berichtete SOHR, Luftangriffe der türkischen Streitkräfte im Rahmen der Operation „Schild des Euphrat“ hätten 35 bis 40 zivile Todesopfer gefordert. Agenturen wie AP, Reuters und AFP übernahmen die Darstellung, die anschließend um die Welt ging.

(Foto: Screenshot/Focus)
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London (nex) – In jedem Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Auch in Syrien waren von Beginn des Bürgerkrieges im Jahre 2011 an von jeder Seite einseitig-propagandistische Darstellungen eher die Regel als die Ausnahme. Dass dadurch bewusste Falschdarstellungen, Verzerrungen und Ungenauigkeiten auch den Weg in die Leitmedien fanden, lag nicht allein an zweifellos verbreiteter Voreingenommenheit von Journalisten und Nachrichtenagenturen, sondern einfach auch an der beschränkten Anzahl an Quellen vor Ort, deren nicht immer gegebener Glaubwürdigkeit und der fehlenden Überprüfbarkeit ihrer Angaben.

Auch die Gefahren für nichtsyrische Journalisten im Land sorgten dafür, dass sich ausländische Medien auf Quellen verlassen mussten, die in Syrien selbst beheimatet waren – und nicht selten eine bestimmte Seite im Konflikt favorisierten, wobei die Allianzen sich zum Teil auch rasch ändern konnten. In dieser Situation wurde der so genannten „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ (SOHR) eine besondere Autorität zugesonnen.

Der Sitz der Gruppe war London und wurde jetzt nach Coventry verlegt. Hinter SOHR verbirgt sich, wie Russia Today aufdeckte, eigentlich nur eine einzige Person, Ossama Soleiman, der von seiner Privatwohnung aus operiert und sich als Gegner der Regierung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad bezeichnet. Außer ihm soll nur ein Übersetzer mit ihm in London arbeiten. Soleiman hat auch mehrfach deutlich gemacht, solange Assad lebe, nicht selbst nach Syrien einreisen zu wollen. Zu Beginn sollen mehrere Partner an dem Projekt beteiligt gewesen sein. Soleiman überwarf sich jedoch offenbar mit diesen, die in weiterer Folge noch für eine Weile eine eigene Webseite unterhielten, die sich ebenfalls als SOHR bezeichnete.

Eine Reihe westlicher Mainstreammedien übernimmt die Meldungen der SOHR meist, ohne überhaupt eine Gegenrecherche vorzunehmen. Als es zwei konkurrierende Varianten der Organisation gab, wurden von beiden Meldungen übernommen. Soleiman gibt sich medienscheu, vor allem mit potenziell kritischen Medien verweigert er regelmäßig das Gespräch. Er behauptet jedoch von sich, über ein engmaschiges Netz an etwa 200 Zuarbeitern vor Ort zu verfügen, die ihn regelmäßig zeitnah und verlässlich mit akkuraten Informationen versorgten. Erst am Wochenende berichtete SOHR, Luftangriffe der türkischen Streitkräfte im Rahmen der Operation „Schild des Euphrat“ hätten 35 bis 40 zivile Todesopfer gefordert. Agenturen wie AP, Reuters und AFP übernahmen die Darstellung, die anschließend um die Welt ging.

Soleiman erhob die Vorwürfe auf Facebook und auf der arabischsprachigen SOHR-Seite. Demnach habe es 15 zivile Opfer in Al-Amarna gegeben und 20 in „Jab al-Qassa“, ein Ort, der so nicht existiert. Möglicherweise war Birr al-Qussa gemeint. Offizielle Angaben dazu gibt es nicht – und das ist auch nicht das erste Mal, dass SOHR diese Situation zu ihren Gunsten nutzt, um sich mit einer spektakulären Story in Szene zu setzen.

Einige Medienstationen haben jedoch auch Zweifel an der Glaubwürdigkeit des SOHR geäußert. Bereits 2012 äußerte The Guardian Bedenken über die Zuverlässigkeit telefonischer Informationen, die nur von einer einzigen Person ausgewertet würden. Russia Today enthüllte, dass Soleiman im Oktober 2015 Informationen seiner englischen und arabischen Quellen abänderte.

Während auf der englischsprachigen Webseite die Rede von angeblichen 30 zivilen Opfern eines russischen Luftangriffes war, sprach der arabische Webauftritt von 27 Toten infolge eines Angriffs der syrischen Armee. Am 7. August 2011 wurde eine vermeintliche SOHR-Story über angebliche acht tote Babys in einem Krankenhaus, nachdem die syrische Armee die Elektrizitätsversorgung in einer Region gekappt hätte, auf CNN unter Berufung auf SOHR wiedergegeben – wenig später hingegen berichtete erst SOHR unter Berufung auf CNN. Der Beitrag wurde mit einem Bild aus Ägypten illustriert. Der jüngste Bericht über den vermeintlich tödlichen türkischen Luftangriff wurde jedoch wiederum durch zahlreiche Medien wiedergegeben, ohne eine eigene Recherche zu der Behauptung anzustrengen.

Um zum aktuellen Stand zurückzukehren: Selbst Medienkanäle, die in der Vergangenheit eine skeptische Haltung gegenüber der SOHR aufwiesen und deren Glaubwürdigkeit in Frage stellten, verlassen nun diese Einstellung bei Berichten, wenn es um die Beschuldigung der türkischen Streitkräfte geht.

Wenn es also um die Türkei geht, dann werden die Behauptungen – die noch dazu unmöglich zu verifizieren sind – einer von einer Einzelperson geführten Organisation trotz Fehlern in der Vergangenheit veröffentlicht. Und die Nachrichtenagenturen, die diese Berichte dann auf der ganzen Welt verbreiten, sind die renommiertesten des Westens, nicht irgendwelche marginalen Medienkanäle.

Das hinterlässt bei vielen den Eindruck, dass die traditionellen medienethischen Maßstäbe der meisten Prestigemedien einfach über Bord geworfen werden können.