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Krieg gegen den Terror
Türkei – Warum hat die PKK den Häuserkampf gewählt?

Die anfänglichen hohen Verluste unter den türkischen Sicherheitskräften konnten durch Hinzuziehen von Spezialkräften eingedämmt werden. Die meisten Scharfschützen der PKK, die in Diyarbakir-Sur, Cizre oder Nusaybin eingesetzt wurden, sind ausgeschaltet worden.

(Symbolfoto: iha)
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In der Türkei ist die Lage in den mehrheitlich von der prokurdischen Partei HDP aufgestellten Bürgermeisterämtern immer noch angespannt. Die türkischen Sicherheitskräfte haben aber mittlerweile die Situation den Umständen entsprechend mehr oder weniger unter Kontrolle. Aber wieso hat die Terrororganisation PKK den Kampf mit der Türkei in die Städte getragen?

Diyarbakir (TP) – Immer noch vergeht kein Tag, an dem nicht eine Bombe in irgend einem Stadtteil im Südosten des Landes zahlreiche Soldaten und Polizisten mit in den Tod reißt. Die anfänglichen hohen Verluste unter den Sicherheitskräften konnten aber durch Hinzuziehen von Spezialkräften eingedämmt werden. Die meisten Scharfschützen der PKK, die in Diyarbakir-Sur, Cizre oder Nusaybin eingesetzt wurden, sind ausgeschaltet worden.

Die Scharmützel mit der YDG-H, einer Jugendorganisation der PKK, konnten dann rasch beendet werden. Was nach wie vor den Sicherheitskräften Kopfzerbrechen bereitet, sind die schwer einzuschätzenden Sprengfallen, die zahlreich als Schutzwall in Häusern und Straßen platziert werden, um die Sicherheitskräfte bei ihren Operationen zu hindern. Erst am Freitag sprengte die PKK ein Gebäude in Nusaybin, wobei 1 Polizist und 5 Soldaten unter den Trümmern verschüttet wurden. Sie konnten nur noch tot geborgen werden. Die Sicherheitskräfte haben inzwischen reagiert. Laut Sicherheitskreisen werden ab sofort nur unter äußerster Vorsicht Gebäude betreten und Sprengfallen fern entschärft.


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Was bislang in den Medien nur vermutet wurde und Experten andeuteten, wird jetzt auch von kurdischen Quellen bestätigt. Die Terrororganisation PKK soll mit falschen bzw. euphorischen Meldungen in die Städte getrieben worden sein, um gerade jetzt, wo im Norden Syriens eine kurdische Autonomie in greifbarer Nähe ist, das Ziel einer Autonomie auch in der Türkei zu verwirklichen.

Murat Karayilan, der Führer des militanten bewaffneten Armes der PKK, der HPG, hatte zuvor schon angedeutet, dass die Kämpfe in den Städten vermeidbar gewesen wären. Der Einsatz von Straßensperren und Gräben inmitten der Städte hätte sich, so Karayilan, von alleine erledigt. Was euphorisch in die Städte getragen wurde, könnte sich aber als der schlimmste anzunehmende Fall herausstellen, die die PKK in ihrer Geschichte je erleben wird.

Die Kurden im Südosten stehen schon lange nicht mehr geschlossen hinter der prokurdischen Partei HDP und vor allem hinter der PKK. Immer mehr Kurden zeigen offen ihren Unmut über die Strategie der HDP und PKK. Der 69-jährige Vahit Cetin, ein Mann, der sich mit Schuhputzen im Stadtteil Sur in Diyarbakir ein Zubrot verdient, erklärt, warum die PKK einen Fehler begangen hat. Laut Cetin hat die PKK den Kampf in die Städte getragen, weil sie der Annahme erlegen ist, dass die Bevölkerung ihnen zur Seite stehen wird. Man habe Waffen und Bomben in die Städte deponiert, aber als diese dann zum Einsatz gekommen seien, sei die Bevölkerung aus diesen Stadtteilen geflohen.

Niemand habe der PKK beigestanden. Mit der mobilisierten Jugend allein habe die PKK aber keine Chance gehabt, so Cetin. Es ist nur eine Antwort darauf, weshalb die PKK mit den Häuserkämpfen keinen Erfolg vorweisen kann.

Kurz nachdem am 7. Juni 2015 die prokurdische HDP die 10-Prozent-Hürde schaffte, stiegen auch die Spannungen zwischen HDP, PKK und Regierung. Der wichtigste Grund, weshalb die PKK in die Städte einsickerte, sind wohl die zahlreichen Lagebeurteilungen und Zustandsberichte, die der PKK wie in den Jahren zuvor vorgestellt wurden. Oftmals waren es kurdischstämmige Politiker selbst, die diese Berichte nach Kandil übermittelten, um die gesellschaftliche und politische Lage beurteilen zu können.

Entsprechend wurden dann aus Kandil heraus die PKK-Aktionen koordiniert. Wie sich jetzt herausstellt, hatte die PKK auch während dieser Zeit zahlreiche Lagebeurteilungen erhalten und vor allem während der Kobane-Kämpfe zwischen der YPG und dem Islamischen Staat, bei denen auch sehr viele kurdischstämmige Freiwillige aus der Türkei in das syrische Krisengebiet zu Hilfe eilten, die Lage völlig falsch eingeschätzt.

Durch die Lagebeurteilungen, in denen davon ausgegangen wurde, dass die kurdische Bevölkerung mehrheitlich bereit sei, den „Kampf der PKK“ mitzutragen, auch ersichtlich an der Kobane-Verteidigung, habe sich die PKK von der Euphorie der Lageberichte anstecken lassen. Das bestätigt nun auch ein kurdischstämmiger Politiker in der Türkei, der die PKK davon abzubringen versucht habe, allerdings ohne Erfolg.


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Aber auf welchen Spekulationen in den Lageberichten, die der PKK zugetragen wurden, beruhte letztendlich diese euphorische Stimmung? Als erstes sollte der in deutschen Medien als „fulminante Sieg“ dargestellte Einzug der HDP in das türkische Parlament hervorgehoben werden. Gerade dort, wo die HDP große Stimmengewinne verbuchen konnte, kamen auch die ersten Forderungen nach Selbstverwaltung oder Abspaltung.

Als zweites kann man dann die zaghafte Zurückhaltung der türkischen Regierung nennen, als die ersten Straßensperren von selbsternannten Straßenmilizen der PKK errichtet wurden. Das führte zwangsläufig dazu, dass die Lage von der PKK als erfolgsversprechend wahrgenommen wurde. Da, wo die Regierung nicht eingreift, wo ein Vakuum entsteht, ist jeder Versuch, dieses auszufüllen, ein Zugewinn an Macht, war wohl der Irrglaube.

Die Meldungen, dass die PKK mit über 600.000 Milizen in den Städten im Südosten des Landes rechnen könne, bekräftigte wohl die PKK ebenfalls in der Annahme, dass der Zeitpunkt nicht günstiger sein könnte. Vor allem jedoch die Stimmengewinne der HDP im Südosten des Landes trugen zu der Euphorie bei.

In Diyarbakir-Sur konnte die HDP rund 79 Prozent der Wählerstimmen gewinnen. In Cizre über 91 Prozent, Silopi 89 Prozent und Nusaybin 90 Prozent; in all den Städten also, in denen die Kämpfe ausgebrochen sind. Keine andere Stadt im Südosten des Landes ist bislang in diese Kämpfe miteinbezogen worden. Nicht so sehr die Stimmen, vielmehr die nachfolgende Stimmung innerhalb der HDP haben wohl die PKK zu der Fehleinschätzung verleitet – und die sucht laut Insiderwissen jetzt nach den Urhebern.

Das wird auch durch die Aussagen der PKK deutlich. Duran Kalkan, einer der Führer der PKK, meinte, man habe einen hohen Preis bezahlt und gar nicht bedacht, dass die türkische Regierung in die Städte einmarschiert. „Auch wenn es Feinde sind, hätten wir nie angenommen, dass diese ihre Menschlichkeit aufgeben und die Armee schicken“ sagte Kalkan und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Die PKK hatte sich erhofft, dass die Bevölkerung in den Hochburgen der HDP sich dem Häuserkampf anschließen und dadurch einen Aufstand entfachen würde, der dann auch auf die übrigen Städte übergreifen würde.

Und vor allem war man davon ausgegangen, dass die türkische Regierung, die jetzt eine politische Krise zu überwinden hat, weil sie den Friedensprozess mit der PKK über die Köpfe hinweg entschied, in eine Ohnmacht verfallen und zum Beobachter der Aufstände degradiert würde. Diese Fehleinschätzung wird, wie es Kalkan zugegeben hat, für die PKK negative Folgen haben.

Die PKK hat mit dem Hereintragen des Konflikts in die Städte nicht nur die Bevölkerung gegen sich gebracht, sondern die einzige noch verbliebene politische Brücke eingerissen, die durch die HDP repräsentiert wurde. Die HDP wie auch die PKK sind in ihren ehemaligen Hochburgen nur noch bedingt gern gesehene Verteidiger der Freiheit. Es scheint so, dass die kurdischstämmige Bevölkerung der betroffenen Gebiete auf so eine Freiheit keinen Wert mehr legt.


Erschienen auf turkishpress