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Medienfreiheit nur in der Türkei
Als deutsche Politiker gegen die Pressefreiheit in der Türkei vorgingen

In Fragen von Satire- und Meinungsfreiheit stehen deutsche Politiker klar auf Seiten von Künstlern und Medienschaffenden. Außer ein deutscher Politiker wird zum Satire-Opfer einer türkischen Zeitung, wie der Streit zwischen Innenminister Schily und der türkischen "Vakit" zeigt.

(Foto: Vakit)
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In Fragen von Satire- und Meinungsfreiheit stehen deutsche Politiker klar auf Seiten von Künstlern und Medienschaffenden. Außer ein deutscher Politiker wird zum Satire-Opfer einer türkischen Zeitung, wie der Streit zwischen Innenminister Schily und der türkischen „Vakit“ zeigt.

Es war ein außerordentlich brisantes Schreiben, das Anfang März im Innenministerium einging. Der Amtskollege eines befreundeten Staates forderte da, in die Pressefreiheit einzugreifen. „Derartige Verunglimpfungen und Beleidigungen halte ich für nicht akzeptabel“ schrieb er und forderte, die Auflösung der Redaktion, die kurz zuvor in mehreren satirischen Beiträgen über ihn und andere Politiker seines Landes hergezogen war.

Nein, die Rede ist hier nicht von der aktuellen Debatte um das Anti-Erdogan-Gedicht des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann. Im Jahr 2005 ereignete sich zwischen Deutschland und der Türkei ein ähnlicher Streit.

Schon damals ging es um Pressefreiheit und die Grenzen der Satire. Schon damals forderte ein beleidigter Politiker Staatsorgane dazu auf, gegen unliebsame Medien vorzugehen. Nur die Fronten waren damals andere: Der deutsche Innenminister Otto Schily verlangte von seinem türkischen Amtskollegen Abdülkadir Aksu eine türkische Tageszeitung zu verbieten.

Zeitung verbreitete antisemitische Hetze

Das Neo-Magazin-Royal jener Tage war die türkische Tageszeitung Vakit. Deren Europa-Ausgabe mit Sitz im hessischen Mörfelden-Walldorf kam Anfang der 2000er ins Visier deutscher Behörden. Eine junge CDU-Agbeordnete (die spätere Familienministerin) Kristina Köhler hatte das Innenministerium wegen antisemitischer Beiträge auf der Blatt aufmerksam gemacht. In ihrer Ausgabe vom 1. Dezember 2004 schrieb die Vakit zum Beispiel: „Es gab keinen Holocaust. Auch die so genannten Gaskammern sind eine Lüge. Das ist alles nichts anderes als zionistische Musik“. Kurz darauf reagierte das Innenministerium. „Unter dem Deckmantel seriöser Berichterstattung“ verbreite die Zeitung „antijüdische und antiwestliche Hetze“, gab Innenminister Otto Schily am 25. Februar 2005 bekannt, verbat den deutschen Verlag der Vakit und ließ dessen Vermögen beschlagnahmen.

Wegen ein paar Schily-Karikaturen forderte die Bundesregierung von der Türkei die Einschränkung der Pressefreiheit

Doch mit dem Verbot begann die mediale und politische Debatte erst. Nicht die Holocaust-Leugnungen der Vakit waren es, die die Bundesregierung erzürnten, sondern ihre „Schmähbeiträge“ gegenüber deutschen Politikern. In den Wochen nach dem Verbot veröffentlichte die Vakit eine Reihe von Beiträgen und Karikaturen, die neben Kristina Köhler und Gerhard Schröder vor allem einen deutschen Politiker zum Ziel hatten, den deutschen Bundesinnenminister: Schily mit Hakenkreuz. Schily mit Hitlerbart. Schily vor einem Ofen ,in dem offenbar Ausgaben der Vakit verbrannt werden.

Nicht nur der künstlerische Anspruch der damaligen Satire bewegte sich auf dem Niveau eines Böhmermann-Gedichts, auch die Reaktion der betroffenen Politiker erinnert an die heutige Debatte. Nur waren es in diesem Fall deutsche Politiker, die sich in ihrer Ehre verletzt sahen. Kein einziger Bundespolitiker sprach sich damals dafür aus, dass Meinungsfreiheit im Zweifel auch grottenschlechte Satire schütze. Stattdessen wurden die Schily-Karikaturen zum Politikum.

„Wenn wir sehen, wie sie in türkischen Medien beschimpft werden, wie sie als Adolf Hitler dargestellt werden, dann fühlen wir uns mit beleidigt“, sagte der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach damals im Bundestag.Politiker aller Parteien forderten von der Bundesregierung diplomatischen Druck auf die Türkei auszuüben, um diese zum Verbot der Vakit in der Türkei zu bewegen – bis schließlich der Brief Otto Schilys im türkischen Innenministerium einging. Die türkische Regierung hielt dem deutschen Druck allerdings stand, die Pressefreiheit in ihrem Land einzuschränken. Die Vakit gab es noch bis zum Jahr 2010, ihre Nachfolgerin Yeni Akit erscheint bis heute.


Erschienen bei Schantall und Scharia